27.06.2017

Der Frieden von Ulan Bator

Kann die Mongolei zum Mittler für die schärfsten Konflikte der Welt werden?

In der Mongolei endete die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 26. Juni mit einem Paukenschlag. Es triumphierte der liberale Khaltmaa Battulga als Kandidat der oppositionellen Demokratischen Partei. Erst auf den letzten Metern einer spannenden Wahlnacht konnte sich der sozialdemokratische Favorit Miyeegombyn Enkhbold von der regierenden Mongolischen Volkspartei (MVP) auf den zweiten Platz vor Sainkhuu Ganbaatar von der MVP-Abspaltung Mongolische Revolutionäre Volkspartei schieben. Da keiner der Kandidaten mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen konnte, kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten.

Der Wahlkampf war kurz, heftig und oft schmutzig. Alle Seiten überzogen sich mit Korruptionsvorwürfen, zwielichtige Leaks machten die Runde und eine parteipolitisch polarisierte Presse heizte die Gerüchteküche an. Wer auch immer die Stichwahl gewinnen mag, die innenpolitischen Herausforderungen sind groß. Das Land ist wirtschaftlich schwer angeschlagen. Auf Jahre des Booms durch Rohstoffexporte folgte mit sinkenden Weltmarktpreisen ein rapider wirtschaftlicher Niedergang. Nur ein Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) konnte im Frühjahr den Staatsbankrott abwenden. Viele Wähler haben das Vertrauen in die mongolischen Parteien und Politiker verloren. Seit der Wende von 1990 ist die Mongolei eine stabile Demokratie. Nun steht sie vor ihrer vielleicht größten Bewährungsprobe.

Trotz aller innenpolitischen Verwerfungen stehen die beiden im Rennen verbliebenen Präsidentschaftskandidaten für außenpolitische Kontinuität. Und das ist gut so. Denn für Frieden und Sicherheit im Krisenherd Nordostasien ist die Mongolei von großer Bedeutung. An Fläche reich, aber an Bevölkerung arm ist das wirtschaftlich und militärisch schwache Land eigentlich kein entscheidender Faktor in der Region. Und dennoch spielt die Mongolei seit den 1990er Jahren eine unverzichtbare Rolle bei den schwierigen Bemühungen um Frieden und Sicherheit in Nordostasien. Wie lässt sich das erklären?

Mongolische Regierungen verstehen sich gut darin, Schwächen in Stärken umzumünzen. Aus der prekären geographischen Lage zwischen den zwei übermächtigen Nachbarn Russland und China folgt, dass die beste Garantie für die eigene Unabhängigkeit im Interessenausgleich der beiden Großmächte besteht. Freundschaftliche und belastbare Beziehungen zu beiden Ländern sind die Folge. Die Abgelegenheit und die relative wirtschaftliche wie militärische Schwäche der Mongolei halten das Land zugleich aus den zahlreichen bilateralen und multilateralen Konflikten Nordostasiens heraus. Darüber hinaus ist die wechselhafte mongolische Geschichte eine bedeutende außenpolitische Ressource. Die Erfahrungen als mittelalterliche Weltmacht, mandschurische Provinz, sowjetischer Satellitenstaat und Transformationsgesellschaft bieten vielfältige Anknüpfungspunkte zu so unterschiedlichen Ländern wie Russland, China, Nordkorea oder Südkorea. Mit jedem dieser Länder teilt die Mongolei historische Gemeinsamkeiten, die für die Politik der Gegenwart hilfreich sind. Und schließlich treibt die Mongolei seit den 1990er Jahren entschlossen ihre internationale Vernetzung voran. „Dritte Nachbarn“, die den russischen wie chinesischen Einfluss ausgleichen, hat man überall auf der Welt gefunden.

In der Summe ergibt dies einen glaubwürdigen und allgemein anerkannten Neutralitätskurs. So kann die Mongolei als international gut vernetztes Land in Nordostasien die Rolle eines ehrlichen Maklers für Frieden und Sicherheit spielen.

Gute Beziehungen zu Nord- und Südkorea

Besonders augenfällig wird dies in den Beziehungen zu Nordkorea. Bereits während der kommunistischen Zeit hatte die Mongolei enge Kontakte mit Pjöngjang. Die mongolische Botschaft blieb im Norden auch während des Koreakrieges geöffnet. Seit den 1950er Jahren unterstützt die Mongolei Nordkorea mit Vieh und Lebensmitteln. Diesen engen Beziehungen hat die Wendezeit nicht geschadet. Heute kommt es zu Delegationsbesuchen auf Regierungsebene, Mongolen können visafrei nach Nordkorea reisen und nordkoreanische Arbeiter schuften (unter teils unwürdigen Bedingungen) auf mongolischen Baustellen. Im Herbst 2013 konnte der mongolische Staatspräsident sogar eine Rede vor Studierenden der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang halten. Kurzum: Die Mongolei kann mit Fug und Recht von sich behaupten, eines der wenigen Länder auf der Welt zu sein, das gleichermaßen gute Beziehungen zu Nord- und Südkorea unterhält.

Und gerade deswegen folgen Regierungsmitarbeiter, Wissenschaftler, Bürgermeister und Wirtschaftsvertreter aus allen Ländern Nordostasiens immer wieder mongolischen Einladungen in die Hauptstadt Ulan Bator. Insbesondere informellere Treffen unterhalb der Ebene von Staats- und Regierungschefs haben sich etabliert. Nordkoreaner diskutieren dort kontrovers aber eben auch konstruktiv mit Südkoreanern, Japanern oder US-Amerikanern. Abseits der großen Bühnen der Weltpolitik lassen sich selbst in außenpolitisch so unruhigen Zeiten wie diesen die Gesprächsfäden weiterspinnen. Die mongolischen Gastgeber stellen dabei ihr Fingerspitzengefühl im Umgang mit schwierigen Themen und Gästen unter Beweis. Zu Eklats kommt es nicht.

Eine Art nordostasiatische OSZE?

Das langfristige Ziel der mongolischen Initiativen ist es, Vertrauen zwischen den Akteuren aufzubauen. Denn Nordostasien muss sich dringend eine kollektive Friedens- und Sicherheitsarchitektur geben. Vergleiche mit der Rolle Finnlands im Europa des Kalten Krieges drängen sich auf. Manch einer hofft, dass Ulan Bator das „neue Helsinki“ werde und die Mongolei wesentlich dazu beitragen könne, eine Art nordostasiatische OSZE zu gründen. In einem solchen institutionellen Rahmen und auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens ließen sich die Konflikte mit Nordkorea aber auch die zahlreichen Grenzstreitigkeiten in der Region entschärfen.

Der Weg dahin ist noch weit. Aber das Ziel wird auch der nächste Präsident ungeachtet aller innenpolitischen Turbulenzen wohl nicht aus den Augen verlieren. Und vielleicht werden spätere Generationen mit der Mongolei nicht mehr die kriegerischen Reiterhorden Dschingis Khans, sondern den Frieden von Ulan Bator verbinden.

Der Artikel ist im IPG Journal erschienen.

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